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Effizienter arbeiten: Entschlackungskur für das Backlog

Jan Herzog, UX-Berater bei UX&I in Düsseldorf
Von

Jan Herzog

Effizienter arbeiten: Entschlackungskur für das Backlog

tl;dr

Eine Sammlung von Methoden und Gedanken, um in schwierigen Projektsituationen mit hoher Geschwindigkeit effizient Mehrwert zu schaffen.

Bang.

Oh. Mein. Gott. Alles explodiert, keiner im Büro, Kunden schreien “öghs”, wie zum Geier geht das eigentlich mit Remote Arbeit und Kurzarbeit und … ja. Es ist schwierig. Aber mal unter uns - inwiefern unterscheidet sich das alles grundlegend von allen übrigen Tagen des Jahres? Dinge bündeln sich, aber die zugrundeliegenden Probleme bleiben was sie immer waren:

  • Keine Zeit
  • Zu großer Scope
  • Zu wenig Leute
  • Zu wenig Budget
  • Mehr Kunden wäre schön

Der Unterschied ist: Es kommt kondensiert, es kommt fieser als sonst. Aus Erfahrung kann man sagen: Je schwieriger die Situation, desto eher tendiert man dazu unstrukturiert zu agieren, vieles gleich wichtig zu finden und auch genau so behandeln. Es gibt immer noch den Unterschied zwischen “neue Sachen bauen” und “altes aufräumen” - und eben genau das sollten wir nicht aus den Augen verlieren.

Wie bekommen wir also Ordnung in unsere Gedanken? Wie schaffen wir es, den Panikmodus rational zu strukturieren und gleichzeitig noch Gewinn dabei zu generieren? Schauen wir mal.

Ziele setzen und zueinander bewerten

Für gewöhnlich haben wir viel vor:

  • Produkt weiterentwickeln (meist mit dem Ziel “Wachstum”)
  • Bestehende Produktaspekte verbessern, schneller machen besser machen Code aufräumen (Optimieren)
  • Ideen ausprobieren, in-/validieren (Experimentieren)

Es ist erst einmal gedanklich naheliegend, hier schon Dinge abzuschneiden: “Für’s Aufräumen haben wir jetzt wirklich keine Zeit”. Aber halten wir doch mal einen Moment inne. Können wir das jetzt schon bewerten?

Wenn wir ein Projekt beginnen, sammeln wir zuerst einmal die Vision ein. Wir nehmen uns einen Moment um zu beschreiben "wo wollen wir hin” - und zwar nicht unbedingt nur "wo wollen wir in der Krise hin”, sondern global, generell, im nächsten Jahr - think big.

Warum?

Intuitiv denkt man meist erstmal, dass Ideen hintereinander abgearbeitet werden müssen. Aber das ist nicht unbedingt so - vielleicht liegt im Teil einer Idee schon ein Mehrwert, den es zu verfolgen lohnt. Das finden wir aber nur heraus, wenn wir die Idee so grob wie möglich, aber detailliert genug skizzieren, so dass alle Beteiligten die gleiche Vorstellung davon haben (ein User Story Mapping wäre eine Idee, die Sache anzugehen). Also: Lasst uns das mal besprechen.

Angenommen wir haben ein User Story Mapping veranstaltet, fällt uns höchstwahrscheinlich währenddessen auf, dass wir eine ganze Menge Epics auf die Matte gebracht haben. Wo also anfangen?

Teuer vs. Sinnvoll

Kritisch zu wissen ist, wie teuer und wie wertschöpfend meine Ideen sind, darum empfiehlt sich früh über Kosten und Nutzen nachzudenken. Glücklicherweise haben wir unser Mapping mit Entwicklern und Designern und… nun eben allen am Prozess Beteiligten gemacht, so dass wir genau das ein wenig besser aufschlüsseln können.

Ich nehme gerne das trivialste Scoring - eine Skala für Werte von 1 bis 5 für die entstehenden Aufwände und ein weiterer Wert für den entstandenen Wert (gerne mal hier nachschauen).

Danach kommt meine liebste Übung.

Card Sorting

Wir sind bei “Alles ist wichtig” angekommen. Verschiedene Stakeholder, verschiedene Perspektiven, alles ist wichtig.

Card sorting ist nicht kompliziert - unter anderem ein Grund weshalb ich es so gerne mag: Jedes identifizierte Epic ist jetzt durchleuchtet, alle haben eine Idee was hinter der Fassade steckt. Wir nehmen uns jetzt die Epics, hängen sie abseits in einer Wolke auf. Eine Person, die anfangen soll wird bestimmt - und eben diese pinnt jetzt alle Karten in die ihrer Meinung nach sinnvollsten Reihenfolge untereinander. Wichtige nach oben, weniger wichtige nach unten. Die nächste Person sortiert danach ihrerseits alle Karten um - sofern gewünscht. Der einzige Unterschied ist, dass bei jeder Umsortierung einer Karte auf eben diese ein Strich gemacht wird. Wichtig ist hier: Keine Diskussion. Erst einmal darf jeder seine Perspektive darlegen, so dass alle Meinungen und Ansichten allen bekannt werden.

Das für gewöhnlich schwierigste Unterfangen hier ist: Nicht schummeln. Nebeneinander gilt nicht - es können nicht zwei Dinge gleich wichtig sein, denn: Man kann nur nacheinander abarbeiten - Pipelining wird sich ohnehin einstellen da nicht alle an allem mitarbeiten können, aber Prioritäten können nur hintereinander angeordnet werden. Alle tragen gemeinsam die Verantwortung dafür, dass das auch eingehalten wird. Insbesondere Chefs oder Entscheidungsträger.

Es empfiehlt sich eine weitere Runde zu beginnen. So wird es wahrscheinlich dazu kommen, dass eine bereits sortierte Karte bald wieder umsortiert wird und daher auch die Gründe, die dazu geführt haben auf den Plan kommen. Wieder: Es ist keine Diskussion, sondern einer spricht nach dem Anderen - je nachdem wer dran ist. So laufen wir zwei drei Runden, bis wir das Gefühl haben dass sich nicht mehr viel an den Positionen ändert. Es gibt zwei mögliche Szenarien, wie das alles Enden kann:

  1. Keiner will mehr umsortieren: Dann passt’s wohl so.
  2. Bestimmte Karten werden immer wieder ausgetauscht: Dann wird genau hier im nächsten Schritt eine Diskussion eröffnet.

Das interessante hierbei ist: Je mehr Striche auf Karten zu finden sind, desto mehr Diskussionsbedarf haben wir. Der Sinn dahinter ist offenbar: Hätten wir das nicht gemacht, wäre die Diskussion deutlich breiter geführt worden. So konnten wir uns fokussieren.

How to Card Sorting
Die Card Sorting Methode hilft innerhalb des Projektteams Themen zu priorisieren.

Fall 1 ist ideal, aber eher selten. Fall 2 eröffnet die Diskussion über dezidierte Themen. Stichwort Fokus. Hier empfiehlt sich dann ein moderiertes, ge-timebox-tes Format wie bspw. Lean Coffee.

Eine Liste mit nach Priorität sortierten Themen, deren Aufwand und Einschlag wir kennengelernt haben ist das Resultat der Übung.

Schneiden, schneiden, schneiden - schnell Mehrwert erzeugen

Charmanterweise bringt der Weg hierher eines mit: Eine Schere. Es geht nicht darum, jedes Epic, jede Idee im vollen Umfang auszuarbeiten - sondern darum an dem einen Stück zu arbeiten, das Sinn durch Wert verspricht.

Je kleiner die Happen sind die wir umsetzen, desto früher erzeugen wir Mehrwert. In Zeiten komprimierter Anspannung brauchen wir schnelle Resultate, keine vollständigen.

Sollte also irgendeiner deiner Kollegen Überlegungen anstellen wie “Ich hab da eine Idee, wie man schneller…”: Hinhören, Schere holen, eintüten.

Overhead = Death

Die Frage “was” und “wann” man es macht haben wir geklärt. Die verbliebene Frage “wie” man es denn nun macht ist noch offen und für gewöhnlich den Fachteams überlassen. Aspekte wie Vertrauen und Autonomie - auch unter Inbetrachtnahme von Homeoffice extrem wichtig - sind ein Grundpfeiler von schnellem Vorankommen, aber selbst wenn das alles zufriedenstellend geklärt ist sollte man sich immer eine Sache vor Augen halten:

Overhead = Death.

Klingt fies, kann Projekte retten. Die Frage “brauche ich das wirklich?” sollte allgegenwärtig sein, insbesondere was das Tooling angeht.

Wir haben also jetzt eine priorisierte Liste mit Themen, die wir alle im Team unterstützen. Jetzt geht es darum, möglichst kleine Iterationen zu schneiden und die Themen rauszuwerfen, die momentan nicht vorhandene Ressourcen benötigen. Bei geschriebenen Tickets sollte immer die Frage “Geht das noch kleiner?” im Vordergrund stehen - denn Zeit ist kritisch, die Ressourcen sind begrenzt - also kann nur der Scope variieren, und das muss er auch.

Fazit

Man könnte den Prozess ungefähr so zusammenfassen: Idealerweise teilt man die Vision - das große Ganze - untereinander. Alle werden mitgenommen, so dass auch alle auf einem Stand sind. Gemeinsam bespricht man die Wichtigkeit verschiedener Produktteile, so dass alle in die gleiche Richtung laufen. Investiert wenig Zeit vorab in Details, arbeitet mit Konzepten, dicken Stiften und Papier - nutzt die Zeit so gut wie es eben nur möglich ist, bewegt euch schnell und agil.

So haben wir die Möglichkeit, die Themen von oben nach unten - der zugeordneten Wichtigkeit entsprechend - abzuarbeiten und zügig Ergebnisse zu erzielen. Jetzt noch eine Prise Vertrauen, dass die anderen schon wissen, was sie tun und schon ist nicht alles, aber eben all das Relevante gewuppt.

Über den Experten

Jan Herzog, UX-Berater bei UX&I in Düsseldorf

Jan Herzog

Senior UX-Berater

Jan unterstützt Unternehmen dabei, UX-Strukturen zu etablieren. Nach einigen Jahren in Berliner Start-ups, schneller, iterativer Produktentwicklung und internationalen Teams, trägt er das gesammelte Wissen aus den Bereichen UX-Architektur, E-Commerce und Nutzerverhaltensanalyse in den deutschen Markt.

Inhaltsverzeichnis
  1. Bang.
  2. Ziele setzen und zueinander bewerten
  3. Schneiden, schneiden, schneiden - schnell Mehrwert erzeugen
  4. Overhead = Death
  5. Fazit

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Nadine Pieper, Senior UX-Beraterin

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